Auch wenn viele dazu raten, die Einleitung erst am Schluss zu schreiben, so ist sie doch für viele Schreibende der Teil der Dissertation, mit dem begonnen wird. Es sprechen mehrere Gründe dagegen und dafür.
Einleitung: zuletzt?
Dagegen, die Einleitung als erstes zu schreiben, spricht, dass meist viel zu viel an Informationen angehäuft wird. Und ich meine: viel zu viel! Das Relevante später herauszupulen ist sehr mühselig und resultiert oft in einem totalen Löschen und Neuschreiben. Dazu kommt, dass das Schreiben noch nicht eingeübt ist, dass man also seinen Schreibstil und –fluss noch gar nicht gefunden hat. Gleiches gilt für das richtige Zitieren. Wer schon einmal vierzig Seiten Einleitung einstampfen musste, weil einfach nicht mehr eruiert werden konnte, woher die Informationen stammten, der wird mir in diesem Punkt zustimmen…. Sicher schreibt sich die Einleitung in der Zusammenschau besonders gut ganz am Schluss, wenn Du Deine Ergebnisse aufgeschrieben und diskutiert hast. Denn dann hast Du den optimalen Überblick, woraufhin Du die Einleitung ausrichten kannst – und auch über die entsprechende Literatur. Unnötige Literaturrecherche ist ein nicht zu unterschätzender Zeitfaktor – und Zeit ist besonders im Frühling auch für ein Eis unbedingt einzuplanen. Für geübte Schreiber ist das Vorab-Schreiben der Einleitung jedoch natürlich die Methode der Wahl für freie Zeitfenster: man kennt die relevanten Studien und Zusammenhänge, zitiert richtig, folgt seiner Gliederung und schreibt so präzise wie nötig.
Einleitung: zuerst?
Für das Schreiben der Einleitung zu Beginn des Schreibprozesses spricht allerdings, dass hier das Schreiben geübt werden kann, denn hier ist noch Raum dafür. Es ist leicht, vier Seiten völlig irrelevante Grundlageninformation über den Menschen an sich zu streichen, wenn man verstanden hat, dass diese Information nicht zielführend ist über eine Arbeit zum Thema Retinadegeneration. Wer in der Einleitung anfängt, schreiben zu üben, der übt auch das richtige Zitieren, und vor allem übt er, Irrelevantes zu erkennen und streichen zu können. Das regelmäßige Verschlanken des Textes trainiert das Auge: Der Lerneffekt ist hier für jemanden, der lernen möchte, groß, und man profitiert für die anderen Kapitel. Insbesondere für Erstschreiber ist diese Herangehensweise nicht unschlau. Empfehlen kann ich diese Art von Schreibstart aber guten Gewissens nur Schreibenden, die gut betreut sind, die also von einer erfahrenen Person Rückmeldung und Unterstützung erhalten und sich so durch die Einleitung arbeiten können. Kein Doktorvater, der seinen Doktoranden wenig oder schlecht betreut bzw. betreuen lässt, freut sich über eine Erstversion mit zwanzig Seiten zusammengesammelter Einleitung. In dem Falle: Einleitung erst am Ende schreiben.
Wie auch immer: Der Teil der Einleitung, den Du auf jeden Fall zu Beginn der Arbeit ordentlich fixiert haben solltest, ist die Fragestellung bzw. die Aufstellung Deiner Hypothesen. Warum das so ist, und wie man die Fragestellung/Hypothesen schick zu Papier bringt, dazu unten mehr.
Was muss rein in die Einleitung?
Die Einleitung versetzt den Leser in die Lage, in kurzer Form Hintergrund, Zielsetzung und verfolgte Strategien der Arbeit zu erkennen. Die wichtigsten Fragen, nach denen Du Deine Einleitung aufbauen solltest, lauten:
- Worum geht es bei Deiner Arbeit?
- Wie ist der Stand der Forschung zu der Thematik?
- Wo sind die bisherigen Wissenslücken, die Du durch Deine Arbeit schließen möchtest?
- Wie lauten Deine Fragestellungen/Forschungsfragen/Hypothesen?
- Welche Strategien bzw. Methoden wirst Du anwenden, um diese zu beantworten/untersuchen?
Diese Fragen kannst Du Dir in „Sprech-Sprache“ schriftlich in Deinem Dokument beantworten; sie bilden den Aufbau Deiner Einleitung – natürlich mit anderen Überschriften.
Ganz vereinfacht kann man sagen, dass die Einleitung den Hintergrund Deiner Studie(n) zielführend darstellt. Der Begriff zielführend ist dabei wichtig: Du richtest den Informationsfluss auf das Ziel Deiner Fragestellung hin aus.
Beispiel für einen zielführenden Aufbau in der Einleitung
Nehmen wir an, Du schreibst eine medizinische Dissertation zum Erfolg einer bestimmten Therapie beim KRK (Kolorektales Karzinom). Die wichtigste Hintergrundinfo, sozusagen Dein Einstieg in die Einleitung ist folgende: „Das Kolorektale Karzinom (KRK) zählt zu einem der häufigsten malignen Tumore der westlichen Welt (Quelle).“ Dazu führst Du dann den aktuellen Stand der Wissenschaft aus. Natürlich will der Leser ein bisschen mehr wissen, also folgt ein weiterer Punkt: „KRK: Genese, Pathologie, Therapie“. Damit hast Du die obigen Fragen 1 und 2 schon beantwortet.
Nun möchtest Du Frage 3 beantworten: Was ist die Lücke im Forschungsstand, die Du schließen möchtest? Das könnte z.B. folgende sein: „Kombination bestimmter Therapeutika“. Frage 4 und Frage 5 folgen auf dem Fuße:
Fragestellung: Der 3-Stufen-Weg
Die Fragestellung (also Antwort auf Frage 4) zu schreiben ist für viele Doktoranden sehr schwierig, wenn sie nicht (im Optimalfall) bereits zu Beginn der Promotion klar und deutlich fixiert wurde und sich die Datenerhebung tatsächlich deutlich danach ausgerichtet hat. Es gibt aber einen 3-Stufen-Weg, den Du verfolgen kannst, der Dir hilft, Deine Fragestellung im Bikini-Style (kurz und knapp) sauber abzuarbeiten. Eigentlich ist die Fragestellung eine Zusammenfassung der Einleitung, wie Du gleich sehen wirst, denn die drei Fragen lauten:
- Was ist bekannt (Hintergrund)?
- Was ist nicht bekannt (Lücke)?
- Was ist das Ziel dieser Arbeit: Wie soll die Lücke geschlossen werden (inhaltlich und methodisch)?
Dazu schreibst Du je zwei bis drei Sätze, und das war es dann auch schon. Denn Frage 5 wird durch die Fragestellung mitbeantwortet: „Um diese Fragestellungen zu beantworten, bedient sich die vorliegende Arbeit einer prospektiven/retrospektiven/randomisierten/Interventions-… Studie, die mittels XX die Faktoren XY und XZ vergleicht und mithilfe von Methode ZZ darauf abzielt, …“.
Die Fragestellung heißt Fragestellung, weil man Fragen stellen soll
Gerade, wenn Du Dich sorgst, Deine Fragestellung könnte nicht präzise genug sein, denke daran: Keine Frage, die Du Dir selbst beim Schreiben stellst, kann zu blöde sein, um zu einer sachlich-richtigen, formell korrekten Darstellung Deiner Zielsetzung zu führen. Stelle Dir einfache Fragen aus dem Hintergrund all der Informationen, Experimente und Ergebnisse, die Dir zu Deiner Promotion im Kopf herumspuken.
Wenn Du z.B. eine Arbeit über spezielles Patienten-Wissen bei einer Erkrankung der Netzhaut schreibst (Degenerative Retinopathie, DR), dann können Deine Fragen, die Dich zu einem dann doch schönen Text (wir geben unseren Anspruch an uns selbst ja nie auf!) führen, lauten:
- Wissen Männer mehr über DR als Frauen?
- Welchen Einfluss hat das Wissen über DR auf den Erfolg der Therapie?
- Wie kann dieses Wissen erfolgreich in der Therapie umgesetzt werden?
- Gibt es bestimmte starke Einflussfaktoren?
Hypothesen oder Zielsetzung statt Fragen
Statt einer Fragestellung ist manchmal das Aufstellen von Hypothesen gefordert. Im Prinzip gleicht das Vorgehen beim Aufschreiben von Hypothesen dem der Fragestellung. Du verwendest nur eben keine Fragen, sondern Sätze. Statt z.B. als Frage zu schreiben:
- Vergrößert die Benutzung von Smartphones während des Überholvorgangs die Unfallgefahr? oder
- Telefonieren Frauen oder Männer häufiger am Steuer ohne Freisprecheinrichtung?
formulierst Du einen Satz wie z.B.
- Die vorliegende Arbeit soll unter anderem die Hypothese untersuchen, dass/ob die Benutzung von Smartphones während des Überholvorgangs die Unfallgefahr erhöht. oder
- Weiter wird der Hypothese nachgegangen, dass Frauen häufiger als Männer am Steuer ohne Freisprecheinrichtung telefonieren.
Die Hypothese ist also etwas präziser als die Fragestellung, weil sie bereits die Arbeitshypothese(n) genauer festlegt (dazu später mehr in Teil 3/Methodik). Es ist eine Formulierungssache: Die etwas offenere Fragestellung ist nicht so stark eingeschränkt, die Hypothese dagegen eindeutig präziser.
Auch die Zielsetzung unterscheidet sich nur in der Formulierung von der Ausarbeitung der Fragestellung und Hypothese. Sowohl:
- Vergrößert die Benutzung von Smartphones während des Überholvorgangs die Unfallgefahr? oder
- Die vorliegende Arbeit soll unter anderem die Hypothese untersuchen, dass/ob die Benutzung von Smartphones während des Überholvorgangs die Unfallgefahr erhöht. oder
- Zielsetzung dieser Arbeit ist es, die Relevanz der Benutzung von Smartphones während des Überholvorgangs für eine möglicherweise vergrößerte Unfallgefahr abzuschätzen/darzustellen.
sind inhaltlich deckungsgleich. Die Fragestellung hilft einfach und schnell, seine Gedanken zu ordnen, die Hypothese ist Basis für die Datenanalyse, gibt also vor, was wie untersucht werden soll, und die Zielsetzung formuliert knackig das Ziel der Arbeit – hilfreich für die Zusammenfassung später (gegen Ende dieser Miniserie). Jede Art der Formulierung hat ihre Berechtigung, und ihre Verwendung ist abhängig vom Betreuer und natürlich vom Schreibenden.
Wenn Du Fragestellung/Hypothesen/Zielsetzung solcherart erfolgreich aufgeschrieben hast, ist der Ansatz Deiner Arbeit sauber dargestellt; und nicht selten wirst Du beim Darstellen der Methodik (Teil 3) oder der Ergebnisse (Teil 4) und sogar bei der Diskussion (Teil 5) wieder zurückscrollen und nachlesen: „Worum geht es eigentlich überhaupt nochmal genau? Ist das Ergebnis relevant, muss ich es darstellen, oder kann ich es rausschmeißen?“. Die Fragestellung ist also ein tüchtiger Helfer, und es lohnt sich, in sie zu investieren: zeitlich und vor allem gedanklich.
Dieser Beitrag ist Teil der Mini-Serie Was gehört eigentlich in die Diss?
Dr. Regina E. Moritz promovierte 2007 an der Universität Duisburg-Essen über ein sinnesphysiologisches Thema und unternahm daraufhin einen kurzen Ausflug ins Science Management. Seit viereinhalb Jahren arbeitet sie freiberuflich und leidenschaftlich als Wissenschaftslektorin. Sie lebt mit Mann, Töchtern, Garten, Aquarium und sehr vielen Büchern im Ruhrgebiet.