Fangen Sie an staubzusaugen, bevor Sie den Boden frei geräumt haben? Wahrscheinlich nicht, das wäre ja auch ziemlich unpraktisch. Sie kämen nicht recht voran mit dem Staubsaugen. Denn nicht nur beim Wohnungsputz, sondern in vielen Bereichen lautet die Grundregel:

„Erst das Grobe, dann das Feine“.

Sobald es um die eigene wissenschaftliche Arbeit geht, scheint diese Grundregel außer Kraft gesetzt zu sein. Wie wird da nicht der Text stundenlang hübsch formatiert und sprachlich optimiert, bevor das Wesentliche, nämlich der Inhalt, feststeht!

Klar, das Formatieren und Umformulieren verleiht einem das gute Gefühl, überhaupt etwas zu tun. Manche entlastet es auch, sich erst einmal um diese Dinge zu kümmern. Und schließlich nimmt der Leser den Text über die Sprache und das Layout wahr – es kann also nicht schaden, sich ihrer anzunehmen, um direkt mit dem ersten Eindruck zu punkten.

Leider vernachlässigen manche Schreibende darüber die inhaltliche Überarbeitung. Oder sie haben schlichtweg nicht mehr genügend Zeit dafür, weil der Tag der Abgabe „urplötzlich“ und unvorhersehbar schnell erreicht ist. Ein weiteres Problem: Die beschriebene Reihenfolge beim Überarbeiten führt zu erhöhtem Aufwand. Denn wenn größere Textblöcke verschoben werden oder komplett wegfallen, ist der Text als Ganzes nicht mehr stimmig. Somit geht das Formatieren und Umformulieren an vielen Stellen von vorne los.

In drei Durchgängen zum Erfolg

Wenn Sie beim Überarbeiten alles auf einmal erledigen wollen, verzetteln Sie sich. Sie springen im Text vor und zurück. Sie übersehen vieles. Sie verzweifeln.

Planen Sie daher besser drei voneinander getrennte Durchgänge für das Überarbeiten ein, um den Überblick zu behalten.

  1. Aufräumen (Inhalt)
  2. Staubsaugen (Sprache)
  3. Dekorieren (Formales)

So können Sie sich auf den jeweiligen Aspekt voll und ganz konzentrieren. Das schont Ihre Nerven und bringt bessere Ergebnisse.

1. Überarbeiten bedeutet aufräumen

Stellen Sie sich Ihren Text als Wohnung vor, in der die Möbel möglichst ansprechend platziert werden sollen. Überlegen Sie: Was muss umgestellt werden – vielleicht nicht nur in von der einen Ecke in die andere, sondern von einem Zimmer in das nächste? Was gehört gar nicht in die Wohnung? Wenn Sie so Ordnung geschaffen haben, fällt Ihnen vielleicht auch auf, dass sogar ein Möbelstück fehlt.

In anderen Worten: Sind alle Inhalte in Ihrem Text am richtigen Platz? Findet sich unter der Kapitelüberschrift tatsächlich der entsprechende Inhalt? Passen die Kapitel zueinander? Fehlen wichtige Inhalte? Kann der Leser insgesamt einen roten Faden erkennen? Wenn Sie sich wegen des roten Fadens unsicher sind, probieren Sie doch einmal Folgendes: Fassen Sie jedes Kapitel in zwei bis drei Sätzen zusammen. Lesen Sie danach diese Sätze als zusammenhängenden Text. Ergibt er Sinn? Falls Sie diese Frage negativ beantworten müssen, machen Sie sich in der Kurzfassung auf die Suche nach den Brüchen und Ungereimtheiten und ändern anschließend Ihre eigentliche Arbeit entsprechend.

Die Inhalte der Arbeit müssen insgesamt harmonisch sein, also aufeinander abgestimmt. Das gilt vor allem für Einleitung und Schlusskapitel, denn diese werden besonders aufmerksam gelesen. Die im Schlussteil präsentierten Ergebnisse und Antworten müssen zu den eingangs formulierten Fragestellungen passen. Eine Arbeit entwickelt sich im Lauf der Bearbeitungszeit – da ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Einleitung nicht mehr zum Rest passt, wenn Sie sie zu Beginn geschrieben haben sollten.

In der späteren Endfassung müssen natürlich auch die anderen Teile der Arbeit inhaltlich miteinander harmonieren. Das bedeutet etwa, dass der angekündigte Gang der Untersuchung dem tatsächlichen Gang der Untersuchung entsprechen muss. Wenn Sie beim Überarbeiten etwas verschoben haben, kann es hier schnell einmal zu Unstimmigkeiten kommen.

Selbstverständlich müssen auch die wesentlichen Begriffe in der gesamten Arbeit so verwendet werden, wie Sie sie eingangs definiert haben. Gerade bei Arbeiten, die über einen längeren Zeitraum entstanden sind und bei denen die Definitionen relativ früh niedergeschrieben wurden, schleichen sich hier Ungenauigkeiten ein.

2. Überarbeiten bedeutet staubsaugen

Sobald alles am richtigen Platz steht, können Sie sich dem zweiten Durchgang widmen. Gehen Sie mit dem Staubsauger durch die komplette Wohnung. Jetzt müssen all der Staub und die Krümel weg. Ein paar Flecken entdecken Sie dabei eventuell auch. An denen müssen Sie mit stärkeren Mitteln arbeiten.

Jetzt geht es um die Sprache. Legen Sie also den Inhalt sprachlich so frei, dass er klar und kompakt vermittelt wird.

Haben Sie an allen Stellen Wissenschaftssprache verwendet? In jeder Fachkultur gibt es einen eigenen Wortschatz (eben die „Fach-Wörter“) sowie bestimmte feststehende Wendungen und Satzmuster. Wenn Sie viel einschlägige Literatur gelesen haben, haben Sie diese Sprache verinnerlicht und wenden sie unbewusst wahrscheinlich bereits an. Suchen Sie gezielt nach unerwünschten umgangssprachlichen Wendungen und nach allzu bildlicher Ausdrucksweise. Schreiben Sie diese Passagen in Wissenschaftssprache um.

Achten Sie auf die Bezüge und Anschlüsse in Aussagen wie beispielsweise „Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde“ oder „Die folgende Abbildung verdeutlicht…“. Gerade wenn Sie bei der inhaltlichen Überarbeitung Textteile verschoben haben, ist es möglich, dass das „vorige Kapitel“ erst noch kommt oder die „folgende Abbildung“ schon dem Leser bereits bekannt ist.

Eliminieren Sie Endlossätze, indem Sie sie aufteilen. Wenn Sie den Text laut vorlesen, merken Sie direkt, welche Sätze zu lang geraten sind.

Auch die übermäßige Verwendung von Passiv liest sich schlecht. Mit der gezielten Suche nach den Wörtern „wird“ und „werden“ finden Sie leicht die betroffenen Absätze.

Suchen Sie Synonyme, wenn sich die Worte zu oft wiederholen. Oft entwickeln sich im Lauf der Zeit „Lieblingswörter“. Damit sind nicht die Fachbegriffe gemeint, für die selbstverständlich keine Ersatzbegriffe verwendet werden sollen, weil sich dadurch die Bedeutung ändern würde. Allerweltsworte lassen sich jedoch schnell ersetzen, wenn Sie die entsprechenden Hilfsmittel nutzen, etwa den „Thesaurus“ in Word oder das Wortschatz-Portal der Universität Leipzig (http://wortschatz.uni-leipzig.de/).

3. Überarbeiten bedeutet dekorieren

Jetzt wird alles hübsch gemacht. Sie haben aufgeräumt und geputzt, alles strahlt in neuem Glanz. Da machen sich doch ein paar Blumen oder Kerzen gut.

Für Ihren Text heißt das: Bearbeiten Sie jetzt die Oberfläche, also die Formatierung. Die meisten Lehrstühle, Fakultäten und Hochschulen haben in einer Handreichung die formalen Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten niedergeschrieben, einige davon liefern auch gleich eine Checkliste für die Endredaktion. Machen Sie sich spätestens jetzt mit diesen Anforderungen vertraut.

Überprüfen Sie das Layout. Sind die grundlegenden Anforderungen an Schriftart und -größe, Zeilenabstände und Seitenränder erfüllt?

Haben Sie die Seitenzahlen richtig formatiert? Die gewünschte Paginierung ist von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich. Informieren Sie sich, welche Bestandteile der Arbeit römische und welche arabische Seitenzahlen tragen sollen.

Widmen Sie sich der Beschriftung von Abbildungen und Tabellen. Sind alle nötigen Angaben vorhanden – an den Achsen und in den Legenden? Kann der Leser bei jeder einzelnen Darstellung leicht nachvollziehen, woher die abgebildeten Daten stammen?

Beseitigen Sie auch die kleinen Unschönheiten. Klassische Fehlerchen: doppelte Leerzeichen oder -zeilen, doppelte Punkte am Satzende oder auch Leerzeichen vor Kommas oder Klammern. Solche Fehler lassen sich ebenfalls mit Strg+F bequem suchen. Nutzen Sie außerdem die Silbentrennung, um im Blocksatz größere Lücken zwischen Wörtern zu vermeiden.

Durchsuchen Sie die Arbeit nach uneinheitlichen Schreibweisen und legen Sie sich auf eine davon fest. Klassische Kandidaten für uneinheitliche Schreibweisen sind Wörter mit zwei orthographisch gleichermaßen zulässigen Varianten (wie etwa „Demographie“ und „Demografie“) oder Wörter, die man mit oder ohne Bindestrich schreiben kann („Ethnomarketing“ und „Ethno-Marketing“). Lassen Sie auch hier wieder das Programm mit Strg+F den Text durchsuchen und alle betroffenen Stellen anzeigen. Entscheiden Sie sich für eine der Schreibweisen und ändern Sie mit Hilfe des „Ersetzen“-Feldes den ganzen Text auf einen Schlag.

Überprüfen Sie die Quellenangaben ganz besonders gründlich. Sind diese formal korrekt und einheitlich? Haben Sie auch wirklich alle verwendeten Quellen ins Literaturverzeichnis aufgenommen?

Aktualisieren Sie alle Verzeichnisse noch einmal direkt vor dem Ausdruck der Arbeit.

Wie viel Zeit soll ich mir für das Überarbeiten nehmen?

Meist wird zu viel Zeit für das Schreiben veranschlagt und zu wenig Zeit für die finale Überarbeitung. Manche Ratgeber nennen Werte von 50 Prozent der gesamten Bearbeitungszeit! Dabei kommt es natürlich darauf an, wie sorgfältig Sie vorher beim Schreiben vorgegangen sind. Handelt es sich bei Ihrem Text noch eher um erste Skizzen, benötigen Sie mehr Zeit für die Überarbeitung. Haben Sie langsamer und sorgfältiger geschrieben und schon einen fast abgabereifen Text erstellt, ist die Überarbeitung eher Formsache. Betonung auf „eher“!

Textblindheit ist ein häufig anzutreffendes Phänomen. Je länger Sie sich mit Ihrem Text befassen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Sie selbst noch die Fehler sehen und die Unzulänglichkeiten erkennen können. Das bringt uns zum nächsten Punkt:

Hilfe holen beim Wohnungsputz

Zu zweit macht das mehr Spaß als allein. Suchen Sie sich Feedback-Geber. Auch für diese gilt: „Erst das Grobe, dann das Feine“. Erklären Sie Ihren Korrekturlesern dieses Prinzip oder teilen Sie die Aspekte Inhalt, Sprache, Formales von vorneherein verschiedenen Personen zu. Meist haben die Personen im eigenen Umfeld verschiedene Stärken. Nutzen Sie diese gezielt.

Überlegen Sie, wie Sie das Korrekturlesen ablaufen soll. Wenn Sie mit den Dateien arbeiten wollen oder müssen (zum Beispiel, weil Sie und die Feedback-Geber zu weit voneinander entfernt wohnen), machen Sie sich vorab mit dem Überarbeitungsmodus Ihres Textverarbeitungsprogramms vertraut. Andere Bezeichnungen dafür sind Korrektur-, Änderungs- oder Nachverfolgungsmodus.

Prüfen Sie in Ruhe, wenn Ihre Feedback-Geber fertig sind, welche deren Hinweise Sie umsetzen wollen. Der Autor Ihres Textes sind und bleiben Sie selbst. Sie treffen die Entscheidungen.

Ein paar Tipps zum Schluss

Schaffen Sie Abstand zu Ihrem Text – zeitlich und räumlich.

  • Überarbeiten Sie nicht am Monitor, sondern an einem Ausdruck. Das lindert die Textblindheit zumindest ein wenig.
  • Sollte eine Korrektur auf Papier nicht möglich sein, ändern Sie in einer eigens dafür angelegten Kopie der Arbeit ein paar grundlegende Formatierungen (Ränder, Schriftart). So kommt Ihnen die Arbeit nicht mehr so bekannt vor und Sie können sie mit mehr Abstand lesen.
  • Überarbeiten Sie Ihren Text nicht an dem Ort, an dem Sie ihn geschrieben haben. Suchen Sie bewusst einen anderen Ort auf, um Distanz zu schaffen.

Seien Sie sich immer dessen bewusst, was Sie gerade tun, nämlich Überarbeiten.

  • Nehmen Sie eine entsprechende Haltung ein, indem Sie sich etwa in den Adressaten der Arbeit versetzen und sich fragen, was dieser erwartet und lesen möchte.
  • Fangen Sie jetzt nicht an zu schreiben. Sollten neue Ideen auftauchen, notieren Sie diese kurz und formulieren sie später aus, nach Abschluss des Überarbeitens.

Zusammenfassung

  • Erst das Grobe, dann das Feine.
  • Drei Durchgänge: Inhalt, Sprache, Formales.
  • Viel Zeit einplanen.
  • Feedback von außen holen.

Lehren Sie und betreuen Sie wissenschaftliche Arbeiten? Dann habe ich hier einen Artikel für Sie. Darin geht es darum, wie Sie in der Lehre das Schreiben und Überarbeiten vermitteln.